Wie klingt eigentlich Wein? – Eine musikalische Lese mit Stevan Paul
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Oktober 10, 2016

Wie klingt eigentlich Wein? – Eine musikalische Lese mit Stevan Paul

Wein und Musik – Zwei der schönsten Genüsse, die es gibt, vereint in einem Artikel. Stevan Paul hat sich fünf Bordeaux-Weine einmal genauer angehört und erzählt euch, wie Weine eigentlich „klingen“.

Neulich, beim überfälligen Aufräumen meines Büros, stieß ich in den unendlichen Weiten und Tiefen der sogenannten „Krimskrams-Schublade“ auf eine CD, die mir vor Jahren anlässlich einer Weinprobe von freundlichen PR-Ladys ins Give-away-Tütchen gesteckt worden war: „The Sound of Wine“ ist der Titel dieser Preziose und es befinden sich darauf Ton-Aufnahmen und Live-Mitschnitte aus den Gär-Bottichen und Tanks verschiedener Weine. Da gluckst vergnügt ein Sauvignon Blanc im Werden vor sich hin, der Chardonnay hat perlenden Schluckauf, bei den rote Trauben regiert der Bass, Lieblingsstück: Syrah (3:32 Min.) Mit der Zeit wurde mit etwas fad beim Hören. Bald schon drängte sich die Frage auf, wie Rebsorten, über ein Blätterrauschen und ein sehr konkretes Blubbern und Schlürfen hinaus, tönen könnten? Wie klänge eigentlich Wein, wäre er Musik?

Der Klang von Erdbeeren

Ich stieß auf einen interessanten Artikel über den Pâtissier Jordi Roca, der mit seinen beiden Brüdern im spanischen Girona das „Celler de Can Roca“ betreibt, eines der besten und innovativsten Restaurants der Welt. Jordi Roca experimentiert dort gerade mit Musik, will Speisen zum klingen bringen. Dabei hilft ihm Neil Harbisson, Künstler, Komponist und erster staatlich anerkannter Cyborg der Welt. Der 34-jährige leidet seit seiner Geburt an einer Form der Farbenblindheit, lange konnte er die Welt nur in schwarz-weiß-grauen Kotrasten wahrnehmen, bis er sich mit 20 Jahren einen „Eyeborg“ installieren lies, eine Art Antenne mit einem eingebauten Farbsensor, die in der Lage ist, fokussiert Farben wahrzunehmen. Diese Informationen wandern zu einem an Harbissons Kopf installierten Chip, der dann die Farbsignale in hörbare Frequenzen umwandelt –  Harbisson kann Farben hören. Klingt komisch, ist aber so. Auf der Madrid Fusión präsentierten Jordi Roca und Harbisson in diesem Jahr einen Nachbau dieser Technik, die ein Dessert des Pâtissiers scannte und die Süßspeise, eine Erdbeer-Variation, direkt in Klänge verwandelte. 

Rammstein mit Zitronen-Soufflé

Etwas alltagsnäher geht der britische  Ernährungspsychologe und Oxford-Professor Charles Spence die Sache an, er forscht seit Jahren zu all jenen Einflüssen, die unseren Geschmack prägen und beeinflussen, wie Farben und Klänge, ja sogar das Gewicht des Besteckes mit dem wir speisen – und nicht zuletzt die Musik, die wir dazu hören. Nun ist ja das Hören und gut finden von Musik eine ganz und gar persönliche Angelegenheit und es soll Menschen geben, denen ein zartes Zitronen Soufflé auch zu einem Song der Band Rammstein ganz außerordentlich gut mundet – Geschmackssache, wie überhaupt Genuss an sich eine ganz individuelle Geschichte ist. Und dennoch gibt es ja Mittler, wie Sommeliers und Köche, die durchaus in der  Lage sind, zum Wohle des Gastes den besten Wein zum passenden Essen zu kombinieren. Genau unter diesem Aspekt bin ich in den vergangenen Wochen immer wieder mal das Weinregal auf und ab gegangen und dann mit dem gefüllten Weinglas die Plattensammlung entlang geschlendert. Schallplatten sind ja wieder groß in Mode und ich kann nur jeden ermutigen, den alten Plattenspieler vom Dachboden zu holen und wieder zum Leben zu erwecken. Musik von der Schallplatte verhält sich zur Audiodatei in etwa so, als würde man einen großen Bordeauxwein einmal aus dem passenden Weinglas genießen und einmal aus einem Saftglas trinken.

Weinreise auf Vinyl

Ein paar schöne Entdeckungen und Wiederentdeckungen habe ich dabei gemacht, im Glas und auf dem Plattenteller. Los geht es! Langsam senkt sich die Nadel aufs glänzende Vinyl, ein verheißungsvolles Knistern, dann…

Philippe Raguenot Crémant de Bordeaux / Les Négresses Vertes 

…ein Glas perlender Crémant de Bordeaux von Philippe Raguenot verführte mich dazu, einen sehr naheliegenden Griff ins Plattenregal zu tätigen, egal, manchmal ist die erste Idee tatsächlich die Beste. Mit dem Album „mlah“ von den „Les Négresses Vertes“ haben wir damals Französisch gelernt und dieses Album ist auch nach all den Jahren noch genau so frisch wie dieser Crémant: fröhlich prickelnd mit Charakter und Substanz, französisch elegant,  vielschichtig und voller Lebensfreude.

Dourthe La Grand Cuvée Sauvignon Blanc/Amy Winehouse

Ist gleich klar, schon nach dem ersten Schluck: Amy Winehouse und das posthum veröffentlichte Album „Lioness-Hidden Treasures“ ist der perfect match für diesen Wein, der seine Kraft und mineralische Präsenz aus schweren, lehmigen und kalkhaltigen Böden gewinnt, im Glas ein Duft von Zitrusfrüchten und schwarzer Johannisbeere, ein Hauch Salz, aromatisch, intensiv, mit Charakter – wie Amy Winehouse, wie ihre Musik.

Château Borie de Noaillan rosé 2015 / Adrienne Pauly

Ich kann mich nicht entscheiden. Zaz vielleicht? Jeanne Cherhal wäre auch mal wieder ganz formidable, oder doch, ah, ich habs! Adrienne Pauly, hat gerade, nach ziemlich langer Pause, im Mai mal wieder eine Single rausgebracht, das neues Album ist für November angekündigt! Ich liebe ja das 2006 Debüt-Album „Adrienne Pauly“ immer noch sehr, nouvelle chanson, ganz ohne niedlichen Touch, die französische Schauspielerin und Sängerin steht  mehr in der Tradition Cathrin Ringers (Les Rita Mitsouko) deren Überhit „Marcia Baila“ sie für die Nouvelle Vague-Sampler-Reihe coverte. Sie ist kein französisches Fräuleinwunder, sondern hat Charakter und Ecken und Kanten – wie der Bordeaux Rosé vom Château Borie de Noaillan, der mit dem Duft von roten Früchten, Hagebutte und Rosenblättern lockt, dabei aber auch eine kräutrige Würze und zitronige Frische mitbringt, fein strukturiert, spannend, charmant.

Thomas Barton 2011 Réserve Sauternes /The Dynamics

Was für ein saftiger, konzentrierter Wein, schon der Duft betört mit Honig, gelben und exotischen Früchten, Orange, getrocknete Aprikose, dann aber doch, gekühlt im Glas, ist der Sauternes frisch, dabei cremig und vielschichtig – ich empfehle dazu Leber-Pâté, Blauschimmelkäse mit Birne, etwas warmen Brioche und unbedingt das Album „180 000 Miles & Counting…“ der Band The Dynamics aus Lyon. The Dynamics vermengen 60’s Soul und 70s‘ Funk mit  Bass-starkem Reggae, Hip Hop und zartem Electro – sehr gereift, entspannt, exotisch, das geht runter wie Öl. Das Album wie der Wein. 

Château Laride Haute Médoc 2013 / Mojo Club Presents Dancefloor Jazz

Beschwingter Jazz, federnde Bässe, eine Prise Soul, ein bißchen Funk, eine Prise Latin, Swing, Ska und Hip Hop, dazu große Stimmen, alte Legenden und neue Klassiker – das war das Erfolgsrezept, der Sapmler-Serie „Mojo Club Presents Dancefloor Jazz“, die zwischen 1992 und 2008, erschein, auf insgesamt 13 Veröffentlichungen brachte es die Reihe aus dem legendären Hamburger Mojo Club. Die Musik ist von frischer Alterslosigkeit, die Sampler sind allesamt ein gehaltvolles, vielschichtiges Vergnügen, das die Versenkung lohnt und gute Laune macht – ganz so wie der 2013 Cháteau Laride aus dem Haut-Médoc, ein Cuvée aus Cabernet Sauvignon, Petit Verdot und samtigen Merlot. Tipp: leicht gekühl auf 15-17°c, entfaltet er sein volles Aroma, würzig, mit dunklen Beerennoten, Lakritz und Minze, elegant eingebunden Säure – ein Mundvoll mit langem Nachhall, ein komplexer Wein, der dennoch niemanden überfordert, schlicht ein großer Genuss. 

Was ich während meiner Weinreisen durchs Plattenregal auch festgestellt habe: bei einem guten Glas Wein gelingt es endlich auch mal wieder, wirklich Musik zu hören, und zwar auch ganze Alben – in Zeiten von Audiofiles und Downloads hören wir immer öfter nur noch Häppchen, Best of-Listen, Compilations, einzelne Tracks – es macht Spaß, mit einem guten Glas Wein in der Hand, Platten und Alben auch mal wieder als Gesamtkunstwerk wahrzunehmen.

Wein hören mit Freunden 

Es macht sehr viel Freude, den passenden Wein zur Lieblingsplatte zu finden, oder sich wahlweise von einer eben geöffneten Bouteille auch musikalisch inspirieren zu lassen. Probieren Sie es aus – oder laden Sie sich doch mal Freunde zu einem musikalischen Weinabend ein: jeder bringt seine Lieblingsplatte und den dazu passenden Wein! Bisschen Käse und gutes Brot dazu und die Party kann beginnen!

 Wenn Sie mögen, freuen wir uns auch hier auf Ihre Vorschläge, Tipps und Kombinationen!

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