Wein bestellen im Restaurant – Stevan Paul zu Gast im NIL
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Juli 11, 2016

Wein bestellen im Restaurant – Stevan Paul zu Gast im NIL

Der Abend beginnt in fröhlicher Runde, ein Glas Champagner vorweg, das Menü liest sich appetitlich, die Speisenfolge ist schnell ausgesucht. Dann kommt der Moment: „Und was wollen wir dazu trinken?“ fragt irgendwer und alle schauen auf die Weinkarte, die einsam am Rand des Tisches liegt. Wer jetzt zugreift, übernimmt Verantwortung. Wenn dann noch der eigene Name fällt, gibt es sowieso kein Zurück: „Möchtest Du nicht den Wein für uns…?“ – Mein Motto in diesem Fall: wacker vorwärts! Und immer dran denken: die anderen haben auch alle keine Ahnung! Geklärt werden muss, ob glasweise getrunken werden soll – dann haben Sie den Ball der Verantwortung erfolgreich zurück gespielt – fällt die Entscheidung jedoch Zugunsten der geselligen Bouteille für alle, ist meist und zunächst eine Flasche Weißwein die beste Wahl. Nur welche? Sollten Sie ein paar Gewächse auf der Weinkarte kennen, bestellen Sie mit fester Stimme den Wein Ihrer Wahl. Seien Sie aber darauf vorbereitet, dass Sie von nun an für alle am Tisch der Winzer und Kellermeister in Person sind, es ist Ihr Wein.Wesentlich entspannter: sich nach angemessener Lektüre der Weinkarte dem freundlichen und geschultem Service zuzuwenden – die Damen und Herren wissen im Ernstfall, wie und mit welchem Wein man Vorspeisenvariationen, Fisch, Fleisch und Gemüseteller unter einen Hut, bzw. im Glas zusammenbringt. Dabei sind Fragen und Nachfragen selbstverständlich erlaubt und erwünscht, die Zeiten als die Weinberatung im Restaurant ein wenig diskutables Hochamt bedeutete, sind dankenswerter Weise überwunden.Rundum sorglos ist, wer ein Menü mit Weinbegleitung wählt. Da haben sich bestenfalls Küche und Service im Vorfeld gemeinsam Gedenken gemacht, um ein wirklich optimal abgestimmtes Geschmackserlebnis anbieten zu können. Solche Weinreisen sind zudem oft ein erhellender Genuss, da kann man was lernen.Beim Bordeaux-Abend im Restaurant NIL werden zum saisonalen Menü drei Bordeaux-Weine angeboten, die als Viertel-Liter-Karaffenwein und Flaschenweise bestellt werden können. Wir entscheiden uns dafür, alle drei Weine offen zu probieren. Im Gespräch mit den Service ist schnell klar, welcher Wein welchen Gang bestens begleiten wird. Wir freuen uns auf den Abend, im NIL wird seit 1989 konstant gut und unprätentiös gekocht, ein Klassiker und ein so zeitloses wie modernes Restaurant, dessen Team seit über 25 Jahren beweist, dass sich Beständigkeit und Weiterentwicklung nicht ausschließen. Eine Erkenntnis, die ebenso auf Bordeaux-Weine zutrifft, die sich wechselnd immer auch auf der regulären Weinkarte des Restaurants finden.Los geht der „Bordeaux in the City“-Abend im NIL mit einem Glas Château Lamothe de Haux von 2014, einem ungemein frischen, mineralischen, dabei samtigen Weißwein, gewachsen auf Kreide-Kalkstein-Boden am Ufer der Garonne, süd-östlich von Bordeaux. In der Nase Holunderblüten und Pfirsich, im Mund entfaltet sich die frische Säure des Weines und Aromen von grünen Stachelbeeren und kräutiger Würze – das passt exzellent zum cremigen Ziegenkäse vom Hof Bachenbruch, der unter einer knusprigen Maisbrotkruste und auf einem kühlen Salat von Fenchel und Orange serviert wird, Chicorée-Salat sorgt für leichte, erfrischende Bitternoten-Akzente. So schmeckt Frankreich an einem perfekten Sommerabend.Der zweite Gang wird mein Lieblingsgang an diesem Abend, auf dem Teller ein perfektes, cremig-reiches Spargel-Risotto mit Petersilienpesto, grandios kombiniert mit einem feinsäuerlichen Rhabarber-„Kompott“ – der Kontrast zwischen der cremigen Milde des Spargels und der säurebetonten Frucht wir im Mund zur Einheit. Ich bin gespannt, welcher Wein dazu passen mag. In appetitlichem Himbeer-Rot funkelt der 2014 Bordeaux Rosé Château Perayne vom Henri Luddecke im Glas und der Wein schafft es tatsächlich in der spannenden Komposition begleitend mitzumischen. Die Familie Luddecke stammt übrigens aus Hannover und erwarben Anfang der Neunziger Jahre das Château Perayne  in den Weinbergen nahe St. Macaire. Hier produziert die Familie reine, naturbelassene und „ungeschönte“ Weine – der frische Rosé duftet nach Erdbeeren, nach roten und schwarzen Johannisbeeren, die dem Rhabarber im Gericht geschmacklich die Hand reichen.Meine Begleitung bleibt direkt beim Rosé, während mir schon mal der Rotwein für den Hauptgang eingeschenkt wird und wir sprechen darüber, wie viele Weine man eigentlich an einem Abend erschmecken und bestenfalls auch gedanklich memorieren kann. Ist es vielleicht doch besser, sich an einem Abend auf einen Wein zu konzentrieren? Die Antwort fällt individuell aus, ich möchte im Restaurant verschiedene Weine genießen und bin darum ein Fan der geführten Weinbegleitung, oftmals werden im Rahmen einer solchen Weinreise auch kostenintensivere oder seltene Flaschen geöffnet und so vielen Gästen zugänglich gemacht. Zudem ist es spannend, Sommelier oder Service bei der Vorstellung der Weine zu lauschen. Tatsächlich aber lassen Geschmackssinn und Konzentration im Laufe eines langen Abends mit allzu vielen Menügängen und Weinen nach – ich habe mir angewöhnt die Etikette der präsentierten Flaschen nach Möglichkeit rasch und diskret mit dem Handy zu fotografieren (Ton aus!), oder wahlweise nach einer Liste der Weinbegleitung zu fragen. So besteht anderntags die Möglichkeit, die getrunkenen Weine im Netz zu recherchieren und sein Wissen zu vertiefen. Die optische Gedankenstütze durch Handyfotos hilft zudem, sich auch im Weinhandel an das ein oder andere Etikett zu erinnern.Der 2012 Château Haut-Myles aus dem Médoc dürfte auf jeden Fall in Erinnerung bleiben, was für ein Rotwein, dieser Cru Bourgeois, fruchtig und rund, mit Würze, Mineralität und Charakter, ein bisschen Holz, ein bisschen Tabak, viel dunkle Waldfrüchte…und ein Genuss zum Hauptgang: Scheiben von der rosa gebratenen Maibockkeule, perfekt rosa gebraten, mit würziger Jus, knackigen Mairübchen und zarten Topfen-Spätzle. Meine Begleitung hat zum Hauptgang Spargel bestellt, mit Butter und Katenschinken, dazu wäre dann wieder der Château Lamothe de Haux erste Wahl, wobei der Katenschinken mit Kartoffeln geprüft auch zum Rotwein schmeckt, der mich auch noch zum Dessert begleitet.Das Valrhona-Schokoladen-Ganache schmilzt im Mund, zum samtigen Erdbeersorbet würde nicht nur farblich der Rosé der Familie Luddecke passen, überprüft und bestätigt wird das durch einen Schluck aus dem Glas meiner großzügigen Begleitung. Als wir später gefragt werden, ob es denn noch ein Espresso sein soll, schütteln wir den Kopf, eine ganz andere Frage beschäftigt uns: von welchem Wein bestellen wir noch ein Viertel?By: Stevan Paul 1969 geboren, verbrachte Kindheit und Jugend am Bodensee, seit über zwanzig Jahren lebt er nun schon in Hamburg. Der gelernte Koch ist Autor zahlreicher Kochbuchbestseller, schreibt als freier Journalist kulinarische Texte und Reisereportagen für Zeitschriften und Magazine, ist Radiokolumnist. Auf www.nutriculinary.com betreibt Stevan Paul eines der meistgelesenen Genuss-Blogs im deutschsprachigen Raum. Ihr habt Lust auf Bordeaux und einen genussvollen Abend bekommen? Dann schaut hier, wo in Deutschland Bordeaux französisches Flair versprüht und verpasst keines unserer Highlight-Events!

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