Süßweine aus Sauternes – Sandy Neumann’s first love
Portrait
November 10, 2016

Süßweine aus Sauternes – Sandy Neumann’s first love

Süßweine aus Sauternes? Eine wunderschöne Liebeserklärung an diese Honig-süße Delikatesse. 

Nicht Music, sondern Sauternes war meine erste Liebe. Ich weiß noch, wie wir uns das erste Mal begegneten. Es muss ungefähr 10 Jahre her sein. Wir sitzen bei Daniel um den großen Familienesstisch, im Kamin knistert ein erkleckliches Feuer. Es ist Spätherbst und durch das Tal des Tarn weht ein kräftiger Wind. Daniel und sein Bruder Didier sind zwei Franzosen, wie ich sie mir immer vorgestellt habe, zumindest, was die Vorliebe für bestes Essen und Wein angeht.

Daniel kriecht etwas ächzend aus seinem Keller herauf, sicher nicht nur, weil wir uns bereits fünf reichhaltige, sehr nahrhafte Gänge einverleibt haben. Nun, schließlich ist es draußen kalt. Er stellt die staubige Flasche auf den Tisch und bittet seinen Bruder, den Korkenzieher zu holen. Daniel öffnet die Flasche, riecht am Korken und grinst – ich vermute, es ist wieder einer seiner „le petit Jesus en culotte de velours“- Momente, frei übersetzt so etwas wie der siebte Himmel des Genusses. Er reicht mir den Korken und ich bin bereits überwältigt. 

„Was ist das“, frage ich,…

und höre zur Antwort, „Sauternes, natürlich!“ Die Gläser werden gefüllt und ich kann nur noch riechen. Eine Welt öffnet sich, gefüllt mit Butter-Karamell, Honig und getrockneten Aprikosen. Der erste Schluck beginnt in meinem Mund zu tanzen (hallo Musik) und ein weiche, geschmeidige Opulenz macht sich breit.

Mon Dieu, was passiert hier, denke ich. Wie kann etwas so gut sein? Wie kann etwas so gut sein und ich habe es noch nie probiert? Die Fülle vergeht nicht. Und das ist auch gut so. Daniel bringt das Käsebrett mit dem einzigen „vrai Roquefort“, dem wahren Roquefort, schneidet ein Stück ab und legt es auf meinen Teller. Ein gutturales Brummen und Kopfnicken in Richtung meines Glases reicht als Aufforderung. Himmlisch beim ersten Mal und bis heute eine, der obwohl mittlerweile so vertrauten, doch immer wieder überraschenden und liebsten Verbindungen, die Essen und Wein für mich erschaffen können. Wie die Madeleine in Prousts Protagonist Marcel in „Auf der Schuhe nach der verlorenen Zeit“ nach Jahrzehnten ein allumfassendes, emotionales Bild und geschmackliche Erinnerungen der Kindheit hervorruft, nimmt mich auf’s Neue ein Glas Sauternes mit.

Während einer Reise im Herbst,…

Wir reisen im Herbst 2015 für ein paar Tage durch das Bordelais und stehen nach einem Gang durch die Weinberge im Verkostungsraum eines Château, unweit von Sauternes. Ein kleiner Traum wird damit wahr. Die edelsüßen Weine dieser Appellation sind speziell. Die mikroklimatischen Einflüsse der beiden Flüsse, die dieses Gebiet prägen – Garonne und Ciron – sind von unschätzbarem Wert und ermöglichen letztlich erst, dass die dünnhäutigen Sémillon-Trauben von der Edelfäule Botrytis cinerea befallen werden.

Der kleine Fluß Ciron fließt zwischen Sauternes und Barsac entlang und mündet in die breite Garonne. Die Garonne wird in diesem Gebiet durch den Atlantik und seine warmen Strömungen beeinflusst. Wenn sich im Herbst das bereits kühle Wasser des Ciron mit dem noch warmen der Garonne vermischt, entstehen die typischen Morgennebel. Gegen Mittag lösen sie sich auf und machen der Sonne Platz. Der Wechsel zwischen den feucht-dunstigen und trocken-sonnigen Witterungsverhältnissen ermöglicht die Bildung der Edelfäule.

Die Pilzsporen machen sich am Ende der Reifezeit auf den Weg nach Zucker und zerfressen dabei genüsslich die Beerenhaut. Das Wasser verdunstet, die Beeren schrumpfen und der Zuckergehalt steigt. Sémillon gibt in seiner Fülle den Sauternes-Süßweinen ein ordentliches Rückgrat. In Cuvées, zusammen mit fruchtigem Sauvignon-Blanc, läuft er zu Höchstform auf. Manchmal auch mit zartem Muscadelle als drittem Partner. Das Phänomen des gefräßigen Pilzes ist aber beileibe nicht selbstverständlich. Es gibt Jahre, da bleibt er völlig aus. 

Auf den Most kommt es an,…

Bevor wir eine veritable Sauternes-Probe bekommen, werden uns zwei Gläser Most von Trauben-Pressungen verschiedener Stadien gereicht. Unglaublich ist die Aromenfülle bereits jetzt. Wir bekommen eine Ahnung, wie komplex sich die Weine zukünftig zeigen können und sind schwer beeindruckt. Gefragt, ob wir die Flaschen von Lot 2015 mitnehmen können, ernten wir ein Fragezeichen-Gesicht, das sich aber schnell in Neugier verwandelt. Verpackt wie teures Porzellan kommen die Flaschen vollständig gefüllt zu Hause an. Ich koche den Most auf ganz kleiner Flamme, ohne weitere Zugaben, zu einem Sirup ein. Erstaunlich ist das Ergebnis. Hoch konzentriert, schon jetzt mit einer füllenden geschmacklichen Dichte, frisch geschleuderter Blüten-Honig in der Nase, am Gaumen Kandis, eingelegte Trockenfrüchte und leicht zitrische Noten. Ich gebe dem Sirup eine Chance und mische ihn im Verhältnis 2:1 mit selbst angesetzter Damiana Tinktur. Die Süße des Sirups braucht einen Ausgleich. Dem Bitterkraut kann das gelingen. Zwei Eiswürfel ins Glas und mit Soda aufgegossen wird ein subtiler, erfrischender Drink daraus.

Und zum Schluss eine kleine Randnotiz – mein Geburtsjahrgang war kein gutes Jahr für Sauternes. Bacchus sei Dank gibt es aber reichlich andere, die noch probiert werden wollen.

Santé! 

NOBLE ROT

4 cl Sirup aus dem Most der Sémillon

2 cl Damiana Tinktur ( angesetzt aus 500 g Damianakraut auf 1,5 l Wodka, 8 Wochen gezogen )

150 ml Soda

2 Eiswürfel

Von: Sandy Neumann

Sandy Neumann lebt, arbeitet und genießt in Hamburg und im Languedoc-Roussillon. Bisher besitzt sie nur einen Rebstock – auf ihrem rechten Unterarm. Sie pflegt eine nicht heimliche Leidenschaft für natursüße Weine und alle Spielarten der französischen Küche. Auf ihrem Blog confiture-de-vivre teilt Sandy ihre Liebe zu Frankreich mit allen Interessierten. Sandy ist leidenschaftliche Rezeptentwicklerin und Foodfotografin, kulinarische Journalistin und Bordeaux-Expertin. Auf ihrem Blog berichtet sie regelmäßig über die kulinarischen Highlights in ihrem Alltag und gibt Tipps und Tricks rund ums Kochen und Schlemmen. 

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